Donnerstag, 9. Dezember 2010

Zu Besuch bei Margot Honecker


Stromzäune auf meterdicken Mauern. Stacheldraht, Wachpersonal und elektrische Toreinfahrten. Die meisten Villen in Santiagos Stadtteil La Reina („Die Königin“) sind ähnlich stark gesichert wie die ehemalige innerdeutsche Grenze. Doch nach außen hin strahlt das vornehme Viertel im Osten von Chiles Hauptstadt gespielt-idyllische Vorort-Atmosphäre aus. Haushälterinnen bewässern leuchtend grüne Vorgärten. Zwei Bauarbeiter, die am Straßenrand Kabel verlegen, gönnen sich auf ihrer Schubkarre im Schatten eine Pause. Ein deutscher Schäferhund beginnt zu bellen – und wird von seinem deutschen Herrchen mit einem harrschen „Hör!“ zur Ruhe gestellt.

Hier, eine dreiviertelstündige Busfahrt vom Zentrum der Millionenstadt entfernt, lebt seit 1992 Margot Honecker. Nach dem Fall der Mauer hatte sich die ehemalige Volksbildungsministerin der DDR und Ehefrau von SED-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker, zu ihrer Tochter nach Chile abgesetzt. Sonja lebte da bereits seit knapp 20 Jahren in Santiago. Señora Honecker gewährte man Exil, nicht zuletzt aufgrund der guten Kontakte zu hochrangigen linken chilenischen Flüchtlingen nach dem blutigen Sturz der Allende-Regierung in den 70er-Jahren. Anfang 1993 folgte Erich Honecker seiner Frau nach Chile, nachdem die Haftbefehle gegen ihn in Deutschland unter starkem öffentlichen Protest aufgelöst worden waren. Doch bereits ein Jahr später starb der ehemalige DDR-Staatschef im Alter von 81 Jahren an Krebs.



Margot Honecker blieb. In Santiago. Ihr Haus in der Straße Carlos Silva Vildosola liegt in einer Reihenhaussiedlung, einer von vielen in La Reina. Von außen eher unauffällig, schützt ein Steinwall das Anwesen vor unerwünschten Blicken. Ein weißer Strauch blüht neben der hohen, eisernen Toreinfahrt. Auf vier weißen Kacheln prangt darüber in schwarzer Schreibschrift der Name der Siedlung: „Comunidad Andalue“.

Während das Andenpanorama im Smognebel bräunlich über den Hausdächern schimmert, kommt ein weißer Jeep die Straße hinunter gefahren. Der Portier winkt der blonden Fahrerin zu, öffnet das elektrische Tor und dreht sich anschließend zu mir. Eigentlich war ich nur gekommen, um ein Foto vom Haus zu schießen, doch nun packt mich die Neugier. „Suchen Sie etwas?“, fragt der Mann im weißen Nadelstreifenhemd.

[...]

Kurz darauf gehen wir über den grünen Innenhof, vorbei an einem leeren Swimming-Pool, dessen Innenwandfarbe in der chilenischen Nachmittagssonne hellblau leuchtet. Zwei Kinder spielen im Garten. Wir laufen weiter geradeaus zu einem der identisch aussehenden, flach aneinander gereihten Natursteinhäuser. Alle Gebäude der Siedlung sind mit Buchstaben nummeriert. In Haus G wohnt Señora Honecker.

Zweimal klopft der Portier an die braune Holztür. Nach wenigen Sekunden öffnet von innen jemand die Pforte – es ist Margot Honecker höchstpersönlich. In türkiser Strickjacke, schwarzem Rock und schwarzen Halbschuhen steht die ehemals mächtigste Frau der DDR, klein, schmächtig und vom Alter gezeichnet in der Tür ihres Hauses.

[...]

Es ist scheint nicht dasselbe Haus zu sein, in dem sie in Santiago im Oktober 2009 in kleiner Runde den 60. Jahrestag der DDR gefeiert hatte. Mit ihrer verbitterten Rede zu den politischen Verhältnissen in Deutschland sorgte Margot Honecker damals diesseits und jenseits des Atlantiks für Schlagzeilen. Ein Video-Mitschnitt davon tauchte kurz nach der Feier bei Youtube auf:


Bei unserem kurzen Gespräch ist von Groll keine Spur. Die 83-Jährige macht einen offenen und gelösten Eindruck. Hier, gut 12.000 Kilometer von der Heimat entfernt, lebt die Frau, die zu DDR-Zeiten aufgrund ihrer extravaganten Haarfarbe lila Drache genannt wurde, in völliger Abgeschiedenheit, in einer anderen Welt.

Ich will sie auch gar nicht lange stören, sage ich und stehe von meinem schwarz gepolsterten Metallstuhl auf. Als wir zurück zur Pforte laufen, wünsche ich Señora Honecker zum Abschied noch einen schönen Tag. Danach bittet mich die alte Dame freundlich, aber bestimmt nach draußen. „Danke für den Besuch“, sagt sie. Und schließt hinter mir die braune Holztür.



Dieser Artikel wurde an den mehreren Stellen gekürzt. Wer die vollständige  Geschichte lesen möchte, kann sich gerne per E-Mail an mich wenden.