Mittwoch, 1. Dezember 2010

Sommer oder Winter?



Die Sonne hatte den letzten Schnee schon von den Anden geschmolzen, da meldete sich der Winter noch einmal zurück. Ein heftiges Tiefdruckgebiet bedeckte vor einigen Tagen die cordillera, die Gebirgskette vor Santiago, mit einer weißen Puderschicht. Vom unerwarteten Schneefall mitten im chilenischen Frühling – dem ersten seit knapp 20 Jahren – waren selbst die Meteorologen überrascht. Sogar der Pass über die Berge nach Argentinien musste deshalb wieder gesperrt werden.

In der Hauptstadt selbst sorgte der plötzliche Wintereinbruch für starke Regenfälle und Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt. Das Wetter am Tag danach war allerdings das krasse Gegenteil – Temperaturen um 20 Grad und eine berauschend smogfreie Sicht auf die Berge...


Chile, ein Land surrealer Klimaerfahrungen. Wer will, kann an ein und demselben Tag in den Anden Ski fahren und im Pazifik baden gehen – beides ist von Santiago nach knapp zwei Stunden Fahrt  möglich. Nach der Wintereinlage auf dem „Dach der Hauptstadt“ erkundeten wir das andere Extrem an der chilenischen Küste:


In Maitencillo, einem Badeort nördlich von Valparaíso, stürzten wir uns auf dem Surfbrett in die Wellen des Pazifiks. Und in Isla Negra südlich der Hafenmetropole statteten wir dem dritten, dem schönsten und dem letzten auf unserer Reiseroute fehlendem Haus Pablo Nerudas einen Besuch ab.

Maitencillo: Auf dem Surfbrett über den Pazifik


Für manche sind es die Bretter, die die Welt bedeuten. Für mich sind es die Bretter, die mich in den Pazifik schleudern. Surfen ist ein spezieller Extremsport – extrem adrenalinfördernd und extrem schwierig. Daran hat sich seit meinem ersten Wellenritt in Australien Ende 2008 nichts geändert. Das Gute an den chilenischen Surfstränden: Die Brandung kommt Anfängern entgegen. Flache Strandabschnitte, knapp ein Meter hohe und perfekt brechende Wellen sorgen für schnelle Erfolgserlebnisse.



Nach einer Aufwärm-Jogging-Runde am Strand und einigen Trockenübungen geht es für Corinna und mich zusammen mit ihren Uni-Kollegen aus aller Welt in die Fluten. Ein Neoprenanzug ist wegen des kaltenWassers Pflicht, doch die eisigen Temperaturen sind schnell vergessen. Ich liege flach auf dem Brett, fange an mit den Armen zu rudern, springe aufs Brett. Und gleich erste Welle trägt mich Jack-Johnson-gleich über den Pazifik...!


Naja fast. Zwischen zwei erfolgreichen Ritten auf den Wellen liegen mindestens zehn Sturzflüge. Doch um dieses berauschende Gefühl einmal zu erleben, lohnt sich jede Bauchlandung!




Isla Negra: Auf den Spuren Pablo Nerudas

Wild schäumend peitschen die Wellen auf die schwarzen Felsen vor Isla Negra. Hinter einem schmalen Sandstrand, an einer grünen Bucht, liegt Pablo Nerudas Sommerresidenz. Hier verbrachte der chilenische Literatur-Nobelpreisträger den Großteil seiner Zeit, hier bekam er die Inspiration für seine Gedichte, hier liegt er heute unter der Erde.


Das steinerne Grab Nerudas und seiner dritten Frau Matilde Urrutia im weitläufigen Garten des Anwesens hat die Form eines Segelschiffs. Sein Bug zeigt in Richtung Meer, hinter dem Grabstein ragt ein Holzmast in den Himmel, doch das Segel wurde seit 1973 nicht mehr gesetzt. Neruda starb zwölf Tage nach Pinochets blutigem Militärputsch an Herzversagen.


Isla Negra ist keine Insel. Der Name bezeichnet einen Felsen, der vor der stürmischen Landzunge aus dem Ozean ragt. Nerudas Haus in dem kleinen Küstendorf ist ebenso detailverliebt gestaltet wie seine anderen beiden Domizile – La Chascona in Santiago und La Sebastiana in Valparaíso. Was im Sinne Nerudas bedeutet, dass sie bis unters Dach mit Antiquitäten und Skulpturen vollgestopft sind. Heute würde man Neruda wahrscheinlich als Messie bezeichnen – für ihn war es Kunst.



Seine Sammlung reicht bis ins hölzern-rustikal ausgestattete Schlafzimmer. Aus seinem Bett hatte er durch die verglaste Fensterfront bereits beim Augenaufschlag einen berauschenden Blick auf sein kleines weißes Segelboot im Garten, den Glocken-Stern im Hof - und die tosenden Wellen des Pazifiks.

2 Kommentare:

  1. [X] Winter
    Ja gibts denn das? Soviel Sonne in einem einzigen Blog.
    Derweil lämpfe ich mich wieder einmal täglich im 80km/h Gegenwind bei -20°C Windchill an die Arbeit. :-D
    Viel Spaß und bitte noch mehr warme Bilder!
    LG
    Michael

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  2. Frostige Grüße von zu Hause! Liebe Grüße auch an Corinna. PS: Rosemarie war begeister! Ob du ihr von deiner "linken" Tante berichtet hast bzgl. Verehrung und so. Öh, wusste ich bislang gar nicht.

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