Dienstag, 28. September 2010

Santiagos helle Lichter

Vom Cerro San Cristobal fällt der Blick auf Santiago. Als im Angesicht der Anden an diesem Abend die Sonne untergeht, breitet sich im Tal des Rio Mapocho ein Lichtermeer aus. Und Chiles Hauptstadt leuchtet in sechs Millionen Farben:


Doch Santiagos helle Lichter strahlen nicht nur bei Dunkelheit. Imposante Kolonialbauten und gläserne Wolkenkratzer, in denen sich schneebedeckte Berggipfel spiegeln, türmen sich bei Tag über dicht gedrängten Fußgängerzonen ("Paseos"). Und zwischen blau-weiß-rot beflaggten Taxis streunen sympathische Hunde, die gerne auch unter den Palmen auf Santiagos zentralem Platz, der Plaza de Armas, eine Siesta einlegen. Für eine Sightseeing-Tour der perfekte Ausgangspunkt.


Der Blickrichtung des galoppierenden Stadtgründers Pedro de Valdivia gen Westen folgend, führt der Weg vorbei an geschäftstüchtigen Teleskop-Besitzern, die gegen einige Pesos einen Blick auf den Mond offerieren, entlang an zwei historischen Gebäuden: dem obersten Gerichtshof (Bild unten links) sowie dem ehemaligen Nationalkongress, in dem heute das Außenministerium sitzt (Bild unten rechts).






Am Ende der Straße erstreckt sich, eingebettet zwischen der Plaza de la Constitucion und Santiagos Hauptstraße Alameda, der weiße Präsentenpalast La Moneda. In den Mauern des Gebäudes starb beim Militärputsch 1973 Chiles Präsident Salvador Allende. Heute erinnert ein fotogenes, hornbebrilltes Denkmal an das gestürzte Staatsoberhaupt.




Zu einer Zwischenmahlzeit lädt am nördlichen Ende der Innenstadt der Mercado Central. In der großen, im britischen Stil erbauten Markthalle bieten zahllose Händler frischen Fisch lauthals schreiend zum Kauf an. Der geneigte Lateinamerika-Tourist kann ihn auch gleich vor Ort in einem der zahlreichen Restaurants verspeisen - zu unverschämt hohen Preisen.




Zwei U-Bahn-Stationen weiter wartet mit dem Cerro San Cristobal das Highlight jeder Sightseeing-Tour durch Santiago. Auf den 284 Meter über der Stadt thronenden Hügel führt eine Seilbahn im 45-Grad-Winkel. Bereits die Fahrt in den rumpelnden Waggons des sogenannten "Funicular" ist ein Abenteuer für sich - und lässt die grandiose Aussicht von oben bereits erahnen.





Bis zum Gipfel führt die Bahn allerdings nicht. Das Plateau der 14 Meter hohen Maria-Statue "Virgen de la Inmaculada Concepcion" auf der Spitze des Berges gilt es zu Fuß zu erklimmen. Gelegenheit zur Pause - oder zum wenig christlichen Empanada-Verzehr - bieten unterwegs die Bänke einer Freiluftkirche, in der Papst Johannes Paul II. 1986 eine Messe hielt.



Wer es schließlich bis nach oben geschafft hat, wird mit einem unvergesslichen Panorama belohnt. Da sagen Bilder manchmal mehr als sechs Millionen Worte...









Dienstag, 21. September 2010

Bicentenario: Eine Nation feiert sich selbst

Ein Düsenjet donnert über den Parque O’Higgins. Der ohrenbetäubende Lärm lässt zehntausende Chilenen auf dem Platz im Süden Santiagos die Köpfe senken. Als die verängstigte Menge nach oben schaut, sieht sie fünf Propellerflieger folgen, die den Himmel über der Stadt in blau-weiß-rote Farben tauchen.

 
Es ist der furiose Beginn der großen Militärparade, dem Höhepunkt der Bicentenario-Feiern zum 200-jährigen Jubiläum der chilenischen Unabhängigkeit. Die Nation feiert sich selbst und demonstriert an diesem sonnigen Sonntagnachmittag ihre Stärke, lässt fast 8000 Soldaten quer durch die ganze Stadt marschieren, fährt die größten Panzer der Streitmacht auf und schickt Bomber und Kampfhubschrauber auf einen Flug über die Stadt.




 
Die feiernden Massen haben sich in überfüllten Metrozügen ihren Weg in der Park gebahnt. Doch nicht alle säumen die Wegstrecke des Festzugs. Viele schlendern zunächst über die „Fonda“ nebenan, wo außer jeder Menge Kitsch auch chilenischen Spezialitäten wie Empanadas (mit Fleisch gefüllte Teigtaschen) oder Choripans (gegrillte Schweinswürstchen) verkauft werden. Auf das Volksfest mit Wies’n-Charme sind neben den beiden Leipzigern mit ihren Sombrero-Hüten vor allem die einfachen Chilenen gekommen. Die Oberschicht bleibt dem exzessiven Treiben fern oder schaut sich den Umzug zuhause an - sechs Sender übertragen die Parade live im Fernsehen.


Auf der riesigen Wiese am Festplatz liegen die Feiernden derweil in der Sonne, trinken ihren mitgebrachten Rotwein aus Zwei-Liter-Tetrapacks oder lassen Mini-Drachen steigen. Die bunten Papierflieger schweben zu Dutzenden über dem Gelände – und viele von ihnen tragen Landesfarben. Auch die Schärpe von Sebastian Piñera: Der Staatspräsident reist im Festzug mit einer Pferdekutsche an, heftet einigen Generälen auf der Plaza O’Higgins Orden ans Revers und nimmt dann auf der Tribüne Platz, um sich das dreistündige Spektakel anzuschauen.



Noch am Vormittag salutierte Piñera für die „mineros“ in der Atacama-Wüste bei Copiapó. Den 33 seit Wochen verschütteten Bergleuten in der Mine von San Jose, die gerade der erste Rettungsbohrer erreicht hat, ist dieser Tage jede Feier, jedes Lied, jedes Gebet gewidmet. Laut einer aktuellen Umfrage, symbolisieren sie den Stolz der Nation mehr als die Unabhängigkeitsfeiern selbst. Piñera verspricht, dass die Mäner noch vor Weihnachten bei ihren Familien sein sollen. Am Nationalfeiertag hissen die "los 33" in 700 Meter Tiefe chilenische Flagge. Und singen in ihrem Schutzraum unter Tage voller Stolz die Nationalhymne.

Als das Donnern der Kampfjets verstummt, sind die Gedenken der Chilenen jedoch woanders. Nicht bei den "mineros" und auch nicht bei den mehr als 30 Unfalltoten, die die Bicentenario-Feiern in Santiago bei Verkehrsunfällen forderten. Gerade rollen Leopard-2- und Marder-Panzer in den Parque O’Higgins ein, eskortiert von Gebirgsjägern mit Skiausrüstung und einer historischen Reiterstaffel. Die beiden Leipziger wühlen fasziniert in ihrer Popcorn-Tüte. Und im Hintergrund verglüht über der Looping-Achterbahn die Sonne.

Samstag, 18. September 2010

Die ersten Schritte in Santiago - unterwegs in Nuevo Leipzig


In der Stadt, in der wir wohnen, liegt ein Berg... Santiagos Fockeberg heißt Cerro Santa Lucia und bietet eine hervorragende Sicht auf Chiles Hauptstadt. Der beste Start also, um die Stadt von oben zu erkunden. Bei schönstem Frühlingswetter haben wir den grünen Hügel inmitten des Zentrums diese Woche erklommen. Und wenn man dann dort oben steht, auf der kleinen Felsenplattform, die einer Festung gleicht, auf die Skyline der 6-Millionen-Metropole schaut, mit ihren Hochhäusern, den unendlichen Vororten und den alles überthronenden Anden-Gipfeln, schießt unweigerlich Adrenalin ins Blut. Ein unglaubliches Panorama.

 
 

 
Auf meinen ersten Schritten durch Santiago führte mich Corinna anschließend zu ihrem Uni-Campus vor den Toren der Stadt. Das riesige Areal der Catholica-Fakultäten im Stadtteil San Joaquin, mit seinen GWZ-artigen Hochschulneubauten in einem Palmengarten gleicht einer eigenen kleinen Stadt. Mit deutschen Unis sind auch die Seminare nicht zu vergleichen. Der spannende Literaturkurs über „Chicano Narrative“ bei Frau Ramay aus San Francisco hatte ganze sieben Besucher (inklusive mir).


Nachmittags wandelten wir dann auf den Spuren chilenischer Literaturgeschichte. In Bellavista, einen Steinwurf von unserer Wohnung entfernt, liegt „La Chascona“, das ehemalige Wohnhaus von Pablo Neruda in Santiago. Der chilenische Dichter (1904-1973), nach dem in Leipzig eine Grundschule benannt ist, quartierte sich in den blauen Gemäuern mit seiner Geliebten Matilde Urrutia ein. Heute befindet sich dort ein Museum – und gleich um die Ecke das angesagteste Kneipenviertel der Stadt.


Auf die „Karli“ Santiagos in Bellavista führte uns unser Weg gleich im Anschluss. Ohne zu wissen, dass es dort einen der wenigen Döner-Läden der Stadt gibt, der heimeligerweise auch noch Istanbul heißt. Klar, dass wir um einen Kebab mit Knoblauchsauce nicht herumkamen. Aber nur, um uns ein paar Meter weiter einen Pisco Sour zu genehmigen – das chilenische Nationalgetränk schlechthin. Ein trüber Aperitif aus Traubenschnaps (Pisco), Zitronensaft, Zucker und Ei, der den Gaumen mit seinem obstleresken Bouquet prickelnd umspült. Inwieweit diese Spezialität mit Leipziger Allasch zu vergleichen ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber nach zwei bis drei dürfte man auch hier ganz gut dabei sein.

Wir beließen es bei einem Kaltgetränk und fuhren mit der Metro nach Downtown zum Regierungspalast La Moneda. Diese Idee hatten zeitgleich auch 70.000 andere Santiaguinos – denn auf der Plaza de Libertad wurde am Donnerstagabend die fünftägige Feier zum 200-jährigen Bestehen Chiles eröffnet. Menschenmassen säumten die sechsspurige Hauptstraße quer durch Santiago - die sogenannte „Alameda“ wurde für diesen Anlass extra gesperrt. Das Spektakel „Puro Energia. Puro Chile“, bei dem das Moneda-Gebäude eine Stunde lang mit Lasern erleuchtet wurde, bildete den Auftakt für Chiles „Bicentenario“.
 

Alles in allem erinnerte die Show schon sehr an das Lichtfest 2009 in Leipzig. Zwar war das Event in Nuevo Leipzig nicht ganz so spektakulär, gepaart mit dem in blau-weiß-roten Farben glänzenden Nationalstolz der Chilenen aber mindestens genauso eindrucksvoll.