Dienstag, 21. September 2010

Bicentenario: Eine Nation feiert sich selbst

Ein Düsenjet donnert über den Parque O’Higgins. Der ohrenbetäubende Lärm lässt zehntausende Chilenen auf dem Platz im Süden Santiagos die Köpfe senken. Als die verängstigte Menge nach oben schaut, sieht sie fünf Propellerflieger folgen, die den Himmel über der Stadt in blau-weiß-rote Farben tauchen.

 
Es ist der furiose Beginn der großen Militärparade, dem Höhepunkt der Bicentenario-Feiern zum 200-jährigen Jubiläum der chilenischen Unabhängigkeit. Die Nation feiert sich selbst und demonstriert an diesem sonnigen Sonntagnachmittag ihre Stärke, lässt fast 8000 Soldaten quer durch die ganze Stadt marschieren, fährt die größten Panzer der Streitmacht auf und schickt Bomber und Kampfhubschrauber auf einen Flug über die Stadt.




 
Die feiernden Massen haben sich in überfüllten Metrozügen ihren Weg in der Park gebahnt. Doch nicht alle säumen die Wegstrecke des Festzugs. Viele schlendern zunächst über die „Fonda“ nebenan, wo außer jeder Menge Kitsch auch chilenischen Spezialitäten wie Empanadas (mit Fleisch gefüllte Teigtaschen) oder Choripans (gegrillte Schweinswürstchen) verkauft werden. Auf das Volksfest mit Wies’n-Charme sind neben den beiden Leipzigern mit ihren Sombrero-Hüten vor allem die einfachen Chilenen gekommen. Die Oberschicht bleibt dem exzessiven Treiben fern oder schaut sich den Umzug zuhause an - sechs Sender übertragen die Parade live im Fernsehen.


Auf der riesigen Wiese am Festplatz liegen die Feiernden derweil in der Sonne, trinken ihren mitgebrachten Rotwein aus Zwei-Liter-Tetrapacks oder lassen Mini-Drachen steigen. Die bunten Papierflieger schweben zu Dutzenden über dem Gelände – und viele von ihnen tragen Landesfarben. Auch die Schärpe von Sebastian Piñera: Der Staatspräsident reist im Festzug mit einer Pferdekutsche an, heftet einigen Generälen auf der Plaza O’Higgins Orden ans Revers und nimmt dann auf der Tribüne Platz, um sich das dreistündige Spektakel anzuschauen.



Noch am Vormittag salutierte Piñera für die „mineros“ in der Atacama-Wüste bei Copiapó. Den 33 seit Wochen verschütteten Bergleuten in der Mine von San Jose, die gerade der erste Rettungsbohrer erreicht hat, ist dieser Tage jede Feier, jedes Lied, jedes Gebet gewidmet. Laut einer aktuellen Umfrage, symbolisieren sie den Stolz der Nation mehr als die Unabhängigkeitsfeiern selbst. Piñera verspricht, dass die Mäner noch vor Weihnachten bei ihren Familien sein sollen. Am Nationalfeiertag hissen die "los 33" in 700 Meter Tiefe chilenische Flagge. Und singen in ihrem Schutzraum unter Tage voller Stolz die Nationalhymne.

Als das Donnern der Kampfjets verstummt, sind die Gedenken der Chilenen jedoch woanders. Nicht bei den "mineros" und auch nicht bei den mehr als 30 Unfalltoten, die die Bicentenario-Feiern in Santiago bei Verkehrsunfällen forderten. Gerade rollen Leopard-2- und Marder-Panzer in den Parque O’Higgins ein, eskortiert von Gebirgsjägern mit Skiausrüstung und einer historischen Reiterstaffel. Die beiden Leipziger wühlen fasziniert in ihrer Popcorn-Tüte. Und im Hintergrund verglüht über der Looping-Achterbahn die Sonne.

2 Kommentare:

  1. Lieber Robert und liebe Corinna,

    nun habe ich mich ein wenig gesammelt und die Eindrücke sortiert, die ich beim Lesen hatte.
    Beeindruckt und aufgewühlt bin ich nun, so hautnah durch Worte und Bilder von euch zu erfahren, dass ihr viel Spaß habt.
    Möge es so weitergehen!
    Liebste Grüße von daheim...

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  2. Wow,
    nicht auszudenken, was euch noch alles erwartet, wenn ihr in der 1. Woche gleich mit ner genialen Parade empfangen werdet! ;-)
    Viel Spaß und v.a. Schreibfreude

    Michael

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