Freitag, 28. Januar 2011

Im rauchenden Krater des Vulkans Villarrica

Update 3. März 2015: Der Villarrica ist heute ausgebrochen und spuckt Tonnen von Lava und Asche. Mehrere Tausend Menschen mussten in Sicherheit gebracht werden. Der folgende Bericht dokumentiert eine Besteigung vom Januar 2011. (Hier gibt es Bilder vom Ausbruch.)



Sein schneebedeckter Krater schimmert 2847 Meter über der Stadt Pucón, aus seinem Schlund quellt weißer Rauch und in seinem Inneren brodelt glühende Lava. Der Anblick des Vulkans Villarrica, knapp 1000 Kilometer südlich von Chiles Hauptstadt Santiago, lässt bereits aus der Ferne eiskalte Schauer über den Rücken laufen. Er zählt zu den zehn aktivsten Vulkanen der Welt, doch man kann dieses glühende Monster besteigen: zu Fuß, auf einer stundenlangen Odyssee durch Schnee und Eis, bis hinauf bis zum qualmenden Krater... 


Donnerstag, kurz vor 6 Uhr. Während der Villarrica in der Morgensonne leuchtet, klingelt der Wecker. Halbschlafend sitzen wir eine Stunde später im Umkleideraum der Agentur Aguaventura und steigen in unsere Bergschuhe. Die Kletter-Experten aus Pucón wollen uns heute über mehr als 1000 Höhenmeter auf den Vulkan-Gipfel führen. Das komplette Equipment bekommen wir gestellt: Schuhe, Jacke, Helm, Hose, Beinschutz, Handschuhe und Rucksack. Auch Steigeisen und Eispickel gehören zur Ausrüstung - ihr erster Einsatz lässt nicht lange auf sich warten.


Im Kleinbus geht es zusammen mit gut zehn anderen furchtlosen Vulkanisten zur Talstation auf 1400 Metern Höhe. Das Wetter ist perfekt, fast windstill, keine Wolke trübt den Blick an diesem kühlen Januarmorgen auf den oft grau verschleierten Vulkan. Die Touren der letzten beiden Tage mussten wegen schlechten Wetters abgesagt werden. Doch die Prognosen für heute sind gut. Sogar der häufig wegen Wind stillgelegte Skilift ist in Betrieb. Er transportiert uns weitere 400 Meter nach oben. Ohne Fußstütze, ohne Sicherheitsbügel – aber mit grandioser Aussicht auf die umliegenden Vulkane und den Lago Villarrica, in dessen eiskalten Fluten wir am Montag noch gebadet hatten.



Hier, am oberen Ende der Skipiste, beginnt der Aufstieg. Es ist 9.03 Uhr und wir schnallen uns die Steigeisen an die Schuhe. Bei einem Crashkurs werden wir noch in die Verwendung des Eispickels eingeweiht. Da stehen wir bereits im Schnee. Kurz danach präpariert der Bergführer im Zickzack-Kurs eine Spur, die wir ihm im Tausendfüßlerschritt folgen...










Um nicht abzurutschen und den vereisten, gut 30 Grad steilen Hang hinabzufallen, stoßen wir den Eispickel beim Laufen an der bergzugewandten Seite als Stütze ins Eis. Und um wegen der schon bald rechts und links auftauchenden Abgründen keine Ohnmachtsanfälle zu bekommen, blicken wir im Tunnelblick geradeaus. Oder drehen einfach ein Video, das diesen atemberaubenden Wahnsinn festhält:


Kurze Verschnaufpause nach der ersten halben Stunde. Stopps gibt es etwa alle 200 Höhenmeter, zweimal rasten wir für eine 15-minütige Essenspause. Mit dem Eispickel hacken wir dabei ein Loch ins Eis, um den Rucksack als Sitzkissen zu verwenden. Beim ersten Halt sitzen wir nur wenige Meter neben einem Skilift, der beim letzten verheerenden Ausbruch 1971 komplett zerstört wurde. Deutlich kann man von hier oben die getrockneten Lavaströme sehen, die sich damals ihren zerstörerischen Weg ins Tal bahnten.


Bis heute ist der Villarrica wegen seiner unvorhersehbaren Eruptionen für Pucón eine ständige Bedrohung. Am Rathaus der Stadt zeigt eine Vulkan-Ampel das aktuelle Aktivitäts-Niveau an. Springt das Licht auf rot, beginnen die täglich um 12 Uhr Probealarm schrillenden Sirenen permanent zu heulen. Die Bevölkerung wird dann auf eine höher gelegene Halbinsel im Villarrica-See evakuiert...


Die Gedanken sind jetzt woanders, der Aufstieg geht bis an die Grenzen. Die Sonne brennt, die Beine werden allmählich schwerer. Und ausgerechnet als auf etwa 2200 Metern Höhe der Wind in heftigen Böen zu blasen beginnt und die ersten Wolken aufziehen, wartet die schwierigste Passage der Tour. Unser Guide balanciert uns über eine gerade so schrittbreite, schneebedeckte Felsnase, an dessen Flanken der Hang rechts und links mehrere hundert Meter steil nach unten abfällt. Adrenalin schießt durch die Adern, der Blick ist jetzt nur noch nach vorne gerichtet. Doch nach zehn nervenaufreibenden Minuten ist es geschafft: Wir stehen zum ersten Mal hoch über den chilenischen Wolken.


Der Vulkanrauch über unseren Köpfen kommt immer näher, ist jetzt fast zum Greifen nah. Der Krater scheint nur noch wenige Meter entfernt. Doch in der letzten Stunde des Aufstiegs wartet für das erschöpfungsbedingt bereits dezimierte Bergteam noch das steilste Stück der Tour. Denjenigen, die jetzt außer Puste sind, wird geraten nun den Rückweg anzutreten. Hier, kurz vor dem Ziel... Mit letzten Kräften kämpfe ich mich nach oben. Und blicke nach 3 Stunden und 49 Minuten Aufstieg in den dampfenden Krater des Vulkans Villarrica !


Der Schnee ist geschmolzen. Rotbraun glüht das Innere des Schlunds in der Mittagssonne. Die Szenerie wirkt wie in einer Mondlandschaft, in deren Mitte ein tiefes Loch klafft. Dichte Rauchschwaden steigen aus dem etwa 50 Meter breiten und 100 Meter tiefen Krater auf. Der weichgekochte Boden und das poröse Lavagestein rundherum dampfen. Bereits auf den letzten Metern des Aufstiegs blies uns eine Wolke aus Schwefelrauch ins Gesicht, doch hier oben macht der Giftnebel das Atmen zeitweise unmöglich. Hustend drängen sich mehr als 100 Vulkan-Bezwinger auf dem Kraterrand. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, gemeinsam hier oben zu stehen.



Bei der etwa halbstündigen Gipfelrast wagen sich einige Mutige etwas in den Krater hinein, um mit Glück die brodelnde Lava im Inneren des Vulkans zu fotografieren. Auf der Jagd nach dem besten Foto gab es deshalb am Villarrica bereits drei Todesfälle, warnen die Bergführer. Heute gibt es jedoch weder Katastrophen noch Magma zu sehen. Dennoch ist der Blick in den bedrohlich zischenden Schlund so eindrucksvoll, dass die Strapazen des Aufstiegs völlig in Vergessenheit geraten.


Der Abstieg ist für den Arsch. Was beim Villarrica wörtlich zutrifft. Denn statt die mehr als 1000 Höhenmeter wieder mühsam hinunter zu kraxeln, wird auf dem schneebedeckten Hang des Vulkans einfach hinunter gerodelt – auf dem Hintern. Ein um den Gürtel geschnallter Tellerschlitten aus Plastik sorgt für halsbrecherisches Tempo, gebremst wird mit dem Eispickel oder mit den Füßen. So geht es durch die Wolken hindurch innerhalb von Minuten wieder hinab zum Fuße des Vulkans. Nass bis auf die Unterhose und völlig erschöpft steigen wir wieder in den Bus – in höchsten Höhen, in tiefsten Tiefen.


Bleibt nur die Frage, woher die anschließenden Kopfschmerzen kommen. Vom Einatmen des giftigen Lavaqualms? Von Symptomen der Höhenkrankheit? Vielleicht ist aber auch einfach nur das Vulkanisten-Pils nach unserer Rückkehr in Pucón schuld. Auf dem Dach von Aguaventura gibt es zum Abschluss der Bergtour Freibier für alle, Villarrica-Blick inklusive. Was für ein Tag...

2 Kommentare:

  1. Hey! Wünsch dir alles Gute zum Geburtstag!!! Hab noch eine schöne Zeit am Ende der Welt und komm dann wieder wohlbehalten nach Hause!

    Grüße aus der alten Heimat

    Lars

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  2. Hallo Robert!
    Ich wünsch dir natürlich auch alles Gute zum Geburtstag und noch viel Spaß auf eurer surrealen Reise, auf der die Extreme so nahe beieinander liegen :-)
    LG
    Michael

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